Sehnsucht aus der Welt

[221] Es ist zu lang verharrt im Lust- und Laster-Leben,

Das mir nun selbst mißfällt;

Ich reiß das Band entzwey, und will itzt Abschied geben

Dem Fleisch und auch der Welt.


Ihr Pracht ist eitler Dunst, und alles ihr Vergnügen

Nur Schatten, Rauch und Schein;

Weil unter ihrer Lust verborgne Straffen liegen,

Die unvermeidlich seyn.


Gantz einem andern Herrn will ich zu Dienste leben,

Mit Leib, Hertz, Seel und Muth,

Der mir zum Gnaden-Lohn verspricht dafür zu geben

Das ewig-höchste Gut.


Hier ist doch kein Bestand, die Menschen müssen sterben,

Der Welt-Bau selbst vergeht;

Was heute kaum erzeugt, kan morgen schon verderben,

Nichts Zeitliches besteht.


Ich thu die Augen auf, und fliehe nun die Bande,

Die mich so lang bestrickt.

Ich weiß, daß mich der Tod aus diesem Jammer-Lande,

Ins Freuden-Leben rückt.


Es ist ein kurtzer Schritt zum Grabe von der Wiegen,

Der Tod schleicht gleich mit ein;

Der erste Tag, da wir in Mutter-Armen liegen,

Kan auch der letzte seyn.


Der Tod ehrt keine Zeit, ihm kan nichts wiederstehen,

Er achtet alles gleich.

Klopft er, so muß der Herr, als wie der Diener, gehen

Ins schwartze Schatten-Reich.
[222]

Er lässet sich sehr offt an solchen Orten finden,

Wo man ihn sucht zu fliehn;

Er schont dich in der Schlacht, und reißt dich wohl in Sünden

Von Tisch und Bette hin.


Dein eigen Hauß, worinn du dich gemächlich pflegest,

Es sey groß oder klein,

Kan, wie dein Schwerdt, das du zu deinem Schutze trägest,

Dein Sarg, dein Mörder seyn.


Wo man die höchste Lust allhier zu finden meinet,

Da steckt die gröste Noht.

Ja selbst die Artzeney, die dir so heilsam scheinet,

Verursacht deinen Tod.


Der Himmel selbst, der früh mit Seegen dich bethauet,

Zieht Abends Wolcken an,

Und richtet Donner zu, der dir von ferne drauet,

Und dich leicht treffen kan.


Nichts ist in der Natur, so nicht dein Grab kan werden;

Ein jedes Element

Das dich erhalten soll, Lufft, Wasser, Feuer, Erden,

Beschleunigt auch dein End.


Indessen leben wir in Sicherheit, und meinen,

Der Tod sey noch entfernt,

Der doch in uns selbst steckt: wo findet man leicht einen,

Der lebend sterben lernt?


Tod, Unglück, Noth, Gefahr, die kan man schwerlich fliehen,

Ein Thor stürtzt sich hinein:

Der Weise suchet sich durch Vorsicht zu entziehen,

Und fällt doch auch darein.
[223]

In dieser Zeitlichkeit kan es nicht anderst werden,

Drum, Seele, sey bemüht,

Daß weder Glück noch Kreutz, im Kercker dieser Erden,

Dich von dem Himmel zieht.


Und weil die gantze Welt dem Wechsel untergeben,

So reiche mir die Hand,

Und führe mich, o Tod, ja bald zu jenem Leben,

Wo gar kein Unbestand.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 221-224.
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